Die Seuche „Fotografietis“

Die meisten von uns sind heutzutage im Besitz eines Smartphones, unserem stetigen Begleiter. Das bedeutet, dass wir gleichzeitig (neben Diktiergerät, Taschenrechner, Notizblock und diversen anderen integrierten Hilfsmitteln) automatisch mit einer immer verfügbaren Kamera in der Tasche herumlaufen.

Wahrscheinlich ist dadurch für viele von uns das nahezu zwanghafte Fotografieren im Alltag zur zweiten Natur geworden:

Nahm man früher nur zu besonderen Anlässen wie einer Familienfeier oder dem langersehnten Urlaub seine Kamera mit, um denkwürdige Ereignisse und historische Architektur, Landschaften und liebe Menschen für’s Fotoalbum abzulichten, geht es heute doch viel häufiger um die Banalitäten des Alltags, die im Bild-Speicher unseres Handys landen. Selfies in allen möglichen Lebenslagen, das gerade gekaufte Schnäppchen oder der Mittagstisch in der Kantine … und da bleiben die Fotos ja nicht nur: nächste Station Instagram, TikTok, Twitter (X) & Co!

Doch wie wirkt sich diese ständige Fotografiererei auf unser Lebensgefühl und auf die Menschen um uns herum aus? Wirken wir in unserer Ich-Bezogenheit manchmal aufdringlich oder gar rücksichtslos? Ist unsere zwanghafte „Fotografietis“ für unser Umfeld ein großes Ärgernis und greifen wir, ohne uns das bewusst zu machen, vielleicht sogar oft in die Privatsphäre anderer Menschen ein?

Hier kommen eine paar Regeln für das Fotografieren in der Öffentlichkeit:

Immer schön höflich bleiben

Ihr macht Fotos zu Eurem eigenen Vergnügen, aber es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass es dabei nicht nur um Euch geht. Mit dem Handy in der Hand geht nicht automatisch ein Freibrief einher, andere aus dem Weg zu drängen, die Sicht anderer zu blockieren oder sich in deren private Momente einzumischen.

Fragen kommt vor Posten

Wenn Sie andere Leute fotografieren, ist es in jedem Fall immer sinnvoll zu fragen, ob die auch damit einverstanden sind, sonst verletzt man deren Recht am eigenen Bild (außer, es handelt sich um sogenannte Personen der Zeitgeschichte, die gerade im Zusammenhang mit ihrem Amt oder Beruf in der Öffentlichkeit unterwegs sind, wie Politiker, Schauspieler …). Selbst wenn Euer Foto banal und spontan ist – zum Beispiel ein Schnappschuss einer Gruppe von Freunden am heimischen Esstisch –, lohnt es sich immer, kurz zu fragen: „Wäre es in Ordnung, wenn ich ein paar Fotos von Euch mache und sie nachher auf Facebook/Instagram poste?“

Lieber analog erleben als digital aufnehmen

Wer immer nur wie unter Zwang die ganze Welt um sich herum durch die Linse des Smartphones betrachtet, und gar nicht mehr mit dem bloßen Auge und allen Sinnen, koppelt sich ab aus dem Hier und Jetzt. Der Wunsch, tolle Fotos zu machen, wird Euch von anderen isolieren – niemandem sind am Ende Fotos so wichtig wie das gemeinsame Genießen besonderer Momente und aktive Teilnahme an der Situation.

Verhalten bei familiären Anlässen

Die meisten Hochzeitspaare werden die Dienste eines professionellen Fotografen in Anspruch nehmen. Wer als Gast geladen ist, sollte vorher abklären, ob das Brautpaar damit einverstanden ist, dass er oder sie auch Bilder macht. Während der eigentlichen Zeremonie in Kirche oder Standesamt (die wahrscheinlich sowieso von einem Profi dokumentiert wird), das Handy unbedingt in der Tasche lassen! Abgesehen von allem anderen wird das ständige Geblitze und Gewusel in wichtigen Momenten für die Hauptpersonen und die anderen Gäste äußerst ablenkend und irritierend wirken.

Manche Brautleute mögen es, wenn während des Empfangs möglichst viele Fotos entstehen, damit sie hinterher alle Aspekte der Feier, auch eventuell verpasste Momente, nacherleben können. Aber auch hier gelten die allgemeinen Regeln der Fotografie. Eine Familienfeier sollte in erster Linie ein freudiger Anlass sein, bei dem man sich auf das Erleben und gemeinsame Gespräche konzentriert.

Auch bei Beerdigungen kommen meist Familienmitglieder und Freunde zusammen, die sich lange nicht gesehen haben. Also mögen manche dieser Trauergäste ein überwältigendes Bedürfnis verspüren, dieses Wiedersehen bildlich festzuhalten. Es soll sogar schon vorgekommen sein, dass jemand Selfies am offenen Sarg gemacht und sie anschließend sogleich online gestellt hat, um die eigene Teilnahme zu dokumentieren – geht gar nicht!

In den meisten Fällen ist es völlig unangemessen, bei Beerdigungen Fotos zu machen. So ein Verhalten ist äußerst aufdringlich, es greift in die Privatsphäre der Trauernden ein und ermutigt andere Anwesende, zu einem Zeitpunkt für die Kamera zu posieren, an dem sie damit beschäftigt sein sollten, über den Verlust des Verstorbenen nachzudenken oder die Hinterbliebenen zu trösten.

Im Restaurant

Für die meisten von uns sind Restaurants Orte, an denen wir gutes Essen, aufmerksamen Service und entspanntes Zusammensein mit Partner/Partnerin und natürlich Freunden genießen können. Daher kann es sehr ärgerlich sein, neben einem Tisch voller Social-Media-Süchtiger zu sitzen, die die ganze Mahlzeit damit verbringen, ihr Essen zu fotografieren und dabei manchmal sogar auf Stühlen steigen, um das perfekte Bild von ihrem Tellergericht zu bekommen.

Es ist in Ordnung, ein diskretes Foto von einem exquisit präsentierten Hauptgericht zu machen, solange man keinen aufdringlichen Blitz verwendet oder anfängt, den Tisch oder die Möbel umzustellen. Und wenn Ihr schon dabei seid, Fotos zu machen und darauf angesprochen werden, dass das stört, sofort aufhöre und entschuldigen!

Kein Theater im Konzert!

Niemand wird einen zwanghaften Knipser bei einem Konzert oder einem Festivalauftritt zu schätzen wissen, weil es nur ablenkt, aber wir alle akzeptieren, dass die meisten Leute irgendwann ein oder zwei Fotos oder sogar ein verwackeltes Video machen wollen.

Angehende Kameraleute neigen dazu, ihre Telefone hochzuhalten, wodurch sie die Sicht anderer Zuschauer blockieren oder sogar die Darsteller ablenken. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Blitz eingesetzt wird.

Akzeptiert lieber gleich, dass später Eure Freunde, die nicht dabei waren, das Betrachten Eurer Konzert-Fotos und -Videos langweilig finden werden, und konzentriert euch lieber so viel wie möglich auf die Aufführung.

Wer unbedingt Bilder machen möchte, sollte das nur für einen begrenzten Zeitraum tun und dann das Handy wegstecken.

In Museen und Galerien

Informiert Euch immer erst über die geltenden Vorschriften vor Ort. Viele Kunstgalerien oder Museen lassen das Fotografieren nicht zu, weil sie nicht möchten, dass Leute ohne deren Zustimmung Fotos von den Kunstwerken machen. Oder sie verbieten Blitzlichtaufnahmen ausdrücklich, weil sie die Kunstwerke beschädigen können. Oder manchmal muss man auch eine Fotoerlaubnis erwerben.

Wichtig ist auf jeden Fall, sich anderen Besuchern gegenüber respektvoll zu zeigen und die Sicht auf die Kunstwerke nicht zu blockieren. Nur weil Ihre ewig dafür braucht, eine „künstlerisch wertvolle“ Aufnahme zu machen, ist es nicht in Ordnung, anderen den Spaß am Museumsbesuch zu verderben. Auch hier gilt wieder: Keine Bilder von anderen Besuchern schießen ohne deren Zustimmung!

In Gotteshäusern

Die Richtlinien zum Fotografieren können sich von Gotteshaus zu Gotteshaus ändern, daher ist es wichtig, sich erstmal zu informieren, bevor man das Handy zückt. Sollte es erlaubt sein, halten Euch strikt an die Regeln, die möglicherweise bestimmte Einschränkungen für die Verwendung von Blitzlicht, Stativen oder Selfie-Sticks beinhalten.

Respektiert vor allem die spirituelle Atmosphäre. Kirchen, Synagogen & Moscheen sind für viele Menschen heilige Orte, die sie zum Beten und Nachdenken nutzen. Daher ist es sehr wichtig, dass deren Privatsphäre nicht zu verletzen.


Beitrag veröffentlicht am

von