Das Thema „persönliche Komfortzone“, also der Abstand, den man gegenüber anderen Menschen einhalten sollte, ohne ihnen buchstäblich und im übertragenden Sinne zu nahe zu treten, wurde während der Covid-Pandemie zu einem vieldiskutierten Thema.
Mindestens 1 bis 1,5 Meter Abstand solle man einhalten, so lautete die Vorschrift, wo man bisher um die 45 bis maximal 120 Zentimeter gewohnt war, je nach jeweiliger Vorliebe oder Vertrautheitsgrad des Gegenübers.
Manche Menschen taten sich schwer damit, die Abstandregeln einzuhalten, andere waren insgeheim eher froh, dass sie mit Hinweis auf die Pandemie ihre Mitmenschen davon abhalten konnten, ihnen zu sehr auf die Pelle zu rücken, ohne unhöflich und übermäßig distanziert zu erscheinen.
Nach der Pandemie hat sich das Leben wieder einigermaßen normalisiert, aber für viele von uns ist die persönliche Schutzzone um uns herum, in dem wir uns wohl und sicher fühlen, immer noch ein Thema. Weiterhin finden daher deutlich häufiger als vor dem ersten Lockdown im März 2020 viele unserer sozialen Interaktionen nach wie vor beruflich (Stichwort Home Office) und oft auch privat (Online-Clubabende etc.) in digitaler Form statt, wo die Feinheiten der Körpersprache nicht so gut rüberkommen und die Gefahr von kommunikativen Missverständnissen größer ist. Man ist etwas entwöhnt, muss den entspannten analogen Umgang miteinander erst wieder einüben, gerade auch im öffentlichen Raum.
Wissenschaftler wissen: Unser Konzept des persönlichen Schutzraums ist die Grundlage, auf der wir alle unsere sozialen Interaktionen aufbauen. Es entspringt einem alten Drang aus der Frühzeit, uns vor Bedrohungen zu schützen, überlagert von sozialen Erwartungen und unserer eigenen Einstellung zu anderen Menschen. Diese Einstellungen sind meist schon in der Kindheit durch unsere Erziehung, unsere Erfahrungen oder soziale Konditionierung geprägt worden. Unterschiedliche Kulturen haben oft auch verschiedene Vorstellungen zum benötigten Mindestabstand um die eigene Person herum.
Die meiste Zeit reagieren wir – auch aus früh gelernter Höflichkeit – instinktiv auf das Verhalten der Menschen um uns herum, passen uns an und spiegeln bis zu einem gewissen Grad deren Umgang mit ihrer persönlichen Schutzzone, ohne bewusst darüber nachzudenken. Unser Raumgefühl ist kontextabhängig: In der Nähe von Freunden und Familie fühlen wir uns wohler und lassen daher mehr konkrete Nähe zu, als bei Begegnungen mit Arbeitskollegen oder gar Fremden, wo unsere als wünschenswert empfundenen räumlichen Grenzen naturgemäß andere sind. Es ist eine wichtige soziale Fähigkeit, diese Einschätzungen und Anpassungen immer wieder zu überprüfen und anpassen zu können; dadurch stellen wir sicher, dass wir weder unangemessen aufdringlich noch übermäßig distanziert wirken.
Die meisten von uns verhalten sich im Großen und Ganzen ähnlich bei Begegnungen mit anderen Menschen bei größeren Veranstaltungen, wenn es um unsere körperliche Komfortzone geht; wir halten einen sinnvollen Abstand ein (es sei denn, wir sind mit Menschen zusammen, die wir gut oder sehr gut kennen). Dann schütteln wir (wieder) gerne Hände, oder küssen uns sogar zur Begrüßung auf die Wange und reagieren nicht schreckhaft, wenn wir berührt werden.
Wir alle sind aber sicher auch schon einmal „Kletten“ begegnet, also Menschen, die einem bei längerem Gespräch immer näher kommen, taktil und aufdringlich sind, und sogar noch nachrücken, wenn man selbst instinktiv zurückweicht, um den eigenen Raum um sich zu schützen.
Es gehört zum guten Ton, die Raumbedürfnisse anderer zu respektieren und sich nicht aufdringlich zu verhalten. Man sollte sich aber auch darüber im Klaren sein, dass man als Mensch, der viel Platz braucht, unterschwellig Botschaften aussenden kann, die kühl und abweisend wirken.
Wie geht man also damit um, wenn der eigene Schutzraum missachtet wird?
Zurückweichen
Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihnen jemand zu sehr auf die Pelle rückt oder Sie mehr berührt, als Ihnen lieb ist, treten Sie einfach einen Schritt zurück. Es kann sein, dass die Person daraufhin einen Schritt nach vorne macht und die entstandene Lücke wieder schließt, so dass weitere Maßnahmen erforderlich sind.
Möbel defensiv einsetzen
Hinter einem gut platzierten Tisch zu stehen, ist eine hervorragende Möglichkeit, einen Eindringling abzuwehren. Wenn Stühle zur Verfügung stehen, können Sie auch sagen: „Sollen wir uns setzen?“ Stühle sind sperrig und es ist viel schwieriger, in den Raum einer anderen Person einzudringen, wenn man auf einem Stuhl sitzt.
Non-verbale Signale einsetzen
Es gibt noch andere Möglichkeiten, Ihr Unbehagen zu zeigen. Sie können die Arme vor der Brust verschränken oder die Hände in die Hüften stemmen, beides Gesten, die Abwehr signalisieren. Wenn Sie sitzen, schlagen Sie die Beine übereinander, setzen sich in einem leicht schrägen Winkel zum Ziel und lehnen Sie sich zurück. Reduzieren Sie den Augenkontakt auf ein Minimum oder richten Sie Ihren Blick auf ein anderes Objekt oder vermeiden Sie den Augenkontakt ganz.
Das Thema ansprechen
Wenn Sie Ihr gesamtes Arsenal an non-verbalen Signalen erfolglos durchgespielt haben, müssen Sie doch deutlicher werden und etwas sagen. Ein plattes „Verschwinden Sie!“ ist jedoch keine Option, weil zu unhöflich. Versuchen Sie also, etwas Subtileres zu sagen wie: „Entschuldigung, würden Sie bitte ein Stück zurücktreten? Ich fühle mich ein bisschen eingeengt!“ oder taktvoller „Oh je, es ist sehr voll hier – sollen wir irgendwohin gehen, wo es mehr Platz gibt?“ Es sollte möglich sein, die Botschaft zu vermitteln, ohne beleidigend zu sein.
Den Schauplatz verlassen
Wenn das alles nicht wirkt, hilft nur die Flucht aus der Situation. Es ist jederzeit möglich, sich mit einer Ausrede zu entschuldigen, von einem simplen „Bitte entschuldigen Sie mich kurz, ich würde mich gerne frisch machen!“ bis hin zu einem kreativen „Oh, ich sehe gerade, unser Gastgeber winkt mir zu, er braucht wohl Hilfe, bis später!“
Denn: Höflichkeit und empathisches Verhalten dürfen keine Einbahnstraße sein; wenn Ihr Gegenüber mehrere deutliche Signale ignoriert, dass man sein Verhalten als subjektiv übergriffig empfindet, darf man sich auch mit einer – für beide Seiten gesichtswahrenden! – Notlüge aus der Situation befreien